Anonymous : Wagenplatz - Eine Odyssee auf Rädern
Eine Odyssee auf Rädern
[zeichenketten november 2010] Im Oktober fanden Wahlen in Wien statt – die rechtspopulistische FPÖ führte bereits Jahre zuvor ihren Wahlkampf und so kam es, dass sie die Öffentlichkeit auf ein kleines Projekt am Rande der Stadt aufmerksam machte, das sich einem besonderen Lebensstil verschrieben hat und dafür kriminalisiert wird: Das Wohnen in Wägen und ein Leben in Freiheit. – Die Geschichte der Wiener Wagenplätze.
Es ist der 21. August 2009, Punkt 14 Uhr: Zwei Polizisten und eine Polizistin besuchen die Wagenburg Hafenstraße. Ihre Mission: Ausweiskontrollen. Begründung wird keine genannt. Während ein zufällig anwesender Pressefotograph die Amtshandlung dokumentiert, wird mit dem Einsatzleiter heftig diskutiert, bis er sich bereit erklärt, seinen Dienstausweis vorzuzeigen. Sichtlich verärgert äußert dieser nun allerhand Vorwürfe, warum dieses und jenes illegal wäre. Den Bewohner_innen der Wagenburg ist jedoch ihre rechtliche Situation klar und sie können die Beamt_innen argumentativ überzeugen, sodass sie wieder abziehen. Der Vorfall reiht sich ein in eine lange Kette von Schikanen, die den Wagenmenschen von Amtswegen zuvor und auch später bereitet wurden. Damit einhergehend haben die Betroffenen lernen müssen, wie mit Paragraphen, Gerichten und Rechten hantiert wird: „Paragraph 60, Absatz zwei der Bauordnung besagt dass Wägen, sobald sie stehen, zu Bauwerken werden“ erklärt Lena, Physik-Absolventin der TU Wien und Bewohnerin der Wagenburg, „und für Bauwerke braucht man eine Baugenehmigung, die wir nicht bekommen, weil unsere Wägen nicht auf Baugrund stehen“. Sie zitiert ein Gesetz, das seit langer Zeit genützt wird, um die Lebensweise fahrender Völker, wie Roma, Sinti und Jenische, zu kriminalisieren.
Die Chronologie
Die Geschichte der Wiener Wagenplätze nahm ihren Ursprung im Jahr 2006, als eine kleine Gruppe von Menschen, die sich in ihren LKW ihre Wohnungen eingerichtet hatten, auf einem Parkplatz zusammenfand. Von dort mussten sie wegziehen, nachdem das Grundstück verkauft wurde. Zwischendurch siedelten sie auf eine Wiese der Gemeinde Wien, die alsbald verlassen werden musste, weil sie im Winter zur Schneelagerung benötigt würde. Politiker_innen schlugen damals vor ein Privatgrundstück zu mieten. So kam es auch: Ein Grundstücksbesitzer meldete und bot sein, zwischen Gewächshäusern liegendes, Feld dem Wagenplatz für 1.000 Euro monatlich an.
Der Wagenplatz in Simmering
Ein gesicherter Wagenplatz war Realität, bekam in den folgenden Monaten regen Zulauf und wuchs somit schnell auf 25 Personen und etwa gleich viele Wägen an. Der in der Kimmerlgasse in Wien Simmering gelegene Platz konnte sich zu einem großen selbstverwalteten Wohnprojekt entwickeln, in dem sich die Grundsätze von Umweltbewusstsein, Kooperation und Autonomie entfalten konnten und wo bewiesen wurde, dass auch eine große Gruppe von Menschen miteinander friedlich leben kann ohne Machtstrukturen zu schaffen – Entscheidungen wurden jede Woche im großen Plenum gefällt.
Doch diese Idylle war vorrüber, als der benachbarte Landwirt, der das Grundstück für seine Gärtnereien kaufen wollte, seine Beziehungen zur Polizei ausspielte um die ungenehmen Mieter_innen zu vertreiben. Er verlautbarte er fände schon Mittel und Wege, die Leute vom Grundstück zu kriegen. So kam eines Tages die Baupolizei und stellte fest, dass die Wägen Bauwerke seien und man keine Wägen auf Landwirtschaftliche Nutzflächen „bauen“ darf. Außerdem sei es nicht möglich, einen Wohnsitz in Wägen zu melden. Immerhin wurden die Bewohner_innen von der Behörde ermutigt, weiterhin für das Projekt einzustehen und die Rechtsmittel auszuschöpfen. Kurze Zeit später kam die Umweltpolizei vorbei und warf dem strikt ökologisch agierenden Projekt vor den Boden zu verunreinigen, da ihrer Auffassung nach Wägen per se stets Öl, Treibstoff und Batterieflüssigkeit verlieren würden. So wurde mehreren Personen ein Umweltverfahren angehängt, bei dem eine Strafe von bis zu 21.000 Euro pro Wagen drohte. Wenig später kam der Bescheid der Baupolizei wonach Wägen Bauwerke seien, weil sie durch ihr Gewicht mit dem Boden verbunden sind. Es wurde eine Frist von zwei Wochen gesetzt in der das privat gemietete Grundstück verlassen werden müsste. Wäre das nicht bereits genug, gab es kurz darauf einen erneuten Polizeibesuch. Diesmal wurden alle anwesenden Personen angezeigt, da sie hier nicht ihren – angeblich nicht meldbaren – Wohnsitz gemeldet hatten. Die Aufforderung dies nachzuholen ist insofern fragwürdig, da bereits ein Räumungsbescheid anhängig war. Die Beamt_innen skizzierten einen Plan aller Wägen und beklebten diese mit „Hausnummern“.
Gegen den Räumungsbescheid wurde erfolgreich berufen und sämtliche Verfahren wegen Umweltverschmutzung und Meldevergehen eingestellt. Die Abteilung für Zwischennutzungsprojekte der Stadt Wien erklärte sich bereit zu vermitteln und ein neuer, rechtlich einwandfreier Wagenplatz wurde in Aussicht gestellt – auf einem brachliegenden Baugrundstück der Stadt. Nach eineinhalb Jahren positiv verlaufener Verhandlungen wurde eine Liegenschaft in der Primavesigasse im Lobauvorland angeboten. Auf Basis eines Präkariums – einer sogenannten Bittleihe – hätte der Wagenplatz auf diesem Grundstück für 500 Euro im Jahr logieren dürfen, jederzeit kündbar. Alle Teilhabenden waren einverstanden, ein Vertrag wurde für die nächsten Tage angekündigt und so konnte das bestehende Mietverhältnis in Simmering bis Ende August auslaufen.
Doch plötzlich kam es anders: Der Donaustädter FPÖ-Landtagsabgeordnete Anton Mahdalik wurde auf das Thema aufmerksam und fand im Vorsitzenden der Lobauer Kolonisten einen Verbündeten um gegen den Wagenplatz mobil zu machen. In Presseaussendungen der FPÖ wird von Müll, Lärm und Gestank gesprochen, auch von Hygienischen Zuständen wie in der „Dritten Welt“. Außerdem wurde kolportiert dass grundsätzlich alle im Wagen Lebenden asoziale, arbeitsscheue Punks wären, die dem Steuerzahler auf der Tasche liegen würden, weil das brachliegende Stadtgrundstück ihrer Auffassung zufolge hergeschenkt würde.
In Folge zog die Stadt ihr Verhandlungsteam zurück und forderte mittels des Wohnbauressorts eine Miete von 22.000 Euro jährlich. Seither wird bestritten dass es je ein Angebot eines Präkariums gegeben hat. Mag. Martin Orner von der Geschäftsgruppe Wohnen hat als ehemaliges Mitglied des städtischen Verhandlungsteams öffentlich bestätigt, dass ein Präkarium im Gespräch war, was für ihn zur Räumung seines Postens führte. Über die Medien verlautbarte Vizebürgermeister Michael Ludwig, dass der Wagenplatz die Verhandlungen beendet hätte und erklärte in einer Milchmädchenrechnung, dass sich jeder diese Miete, die pro Person und Monat 70 Euro betragen würde, ohne weiteres leisten könne. Die Rechnung wies jedoch zwei entscheidende Fehler auf: Die ständigen Betriebskosten für Strom, Wasser und Instandhaltung (der Wägen) werden von den Bewohner_innen selbst getragen, ebenfalls gilt dies für die Herstellung der notwendigen Wasser-, Kanal- und Stromanschlüsse, die nicht von der Miete getragen werden. Für die kolportierten 70 Euro erbringt die Stadt keine Leistung, außer dass sie das Gras wachsen lässt. Der zweite Denkfehler ist jener, dass alle Bewohner_innen auf dem Grundstück Platz hätten. Da dieses gerade groß genug ist um die Hälfte zu beheimaten verdoppelt sich auch der Mietbetrag pro Person. Damit wäre das bescheidene und sparsame Wagenleben effektiv teurer als eine durchschnittliche Wiener Wohnung.
Mehrere Zeitungen und auch der ORF sind auf den Streit mit der Stadt aufmerksam geworden und so kam es dass die Hetzkampagne der FPÖ den gegenteiligen Effekt erzielte: In den Medien wurde durchwegs positiv über den Wagenplatz berichtet, während das Vorgehen der Stadt und der FPÖ medial in ein schiefes Licht rückte.
Wundersame Vermehrung
Einen Tag nachdem ein ORF-Bericht in der Sendung THEMA ausgestrahlt wurde, in dem das Wohnprojekt und dessen Leidensweg einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, ging der Wagenplatz in die Offensive und zwei Gruppen zogen aus und besetzten Grundstücke: eines an der Hafenzufahrtsstraße und das zweite an der Baumgasse neben der Arena. Während die Wagenburg Hafenstraße*sofort Unterstützung von Anrainer_innen, Grünen und der Augartenspitz-Initiative bekam, wurde der Wagenplatz Baumgasse offiziell und tatkräftig von der Arena unterstützt. Zugleich begannen auch die Wagentage, ein internationaler Wagenplätze-Kongress, in Wien, zu welchen viele Gäste aus Deutschland und der Schweiz anreisten und mit ihren Wägen die neu geschaffenen Plätze verstärkten. Mit einem Schlag stieg das Interesse der Medien an dem Projekt bedeutend an, da die unerwartete Machtdemonstration das frisch geöffnete Sommerloch füllen konnte.
Odyssee der Wagentruppe Treibstoff
Während sich die Wagenburg Hafenstraße auf einem Grundstück der Gemeinde Wien einfand und vorläufig das Glück hatte von ihr dort geduldet zu werden, musste der Wagenplatz Baumgasse, der auf einem Grundstück der PORR Solutions stand, das Feld räumen. Unter dem Namen „Wagentruppe Treibstoff“ zog diese, nun unabhängige, Gruppe von Brache zu Brache durch Wien und stieß bislang stets auf Widerstand bei den Grundstückseigentümern. So wollte weder die Bundes-*immobiliengesellschaft (Republik Österreich) noch die ASFINAG (Republik Österreich) mit der Wagentruppe in Verhandlungen treten – im Gegenteil: es kamen Klagsdrohungen wegen Besitzstörung von seit Jahrzehnten verwilderten Brachen. Schließlich landete die Treibstoff-Truppe auf einem Prater-Grundstück im Besitz der Wien Holding, einem Unternehmen der Stadt Wien, und konnte mit ihr letztendlich eine hochoffizielle Vereinbarung erwirken, mit welcher sie dieses Grundstück sechs Monate lang zwischennutzen konnten. Im darauffolgenden Frühling 2010 wurde, nach einem Zwischenstopp in der Krieau, eine verborgene Ecke in der großen*Brache des Nordbahnhofgeländes besiedelt. Die ÖBB reagierte prompt und beauftragte das Anwaltsbüro Weissborn & Wojnar mit der Einbringung einer Besitzstörungsklage, welche zu einem 3000 Euro teurem Urteil zulasten der Wagentruppe ausfiel. Vom Bahngelände vertrieben, übersiedelte die Wagentruppe auf das ehemalige Mautner Markhof-Gelände in Simmering. Mit der Eigentümerin konnte eine schrittweise Duldung bis August erwirkt werden, danach kehrte Treibstoff wieder zu ihrem Ausgangsort in der Baumgasse zurück.
Wagenplatz AKW Lobau
Mit der Besetzung der Wagenburg Hafenstraße im Sommer 2009 geriet das Büro Ludwig unter Druck und entsandte Ronald Schlesinger als Verhandler, um die Gespräche über die Liegenschaft in der Primavesigasse in der Lobau erneut zu beginnen. Im darauffolgenden Sommer unterzeichnete ein Teil der Wagenburg Hafenstraße den Vertrag und zog dort ein. Der andere Teil der Gruppe verblieb auf dem Grundstück in der Hafenzufahrtsstraße. Seither gibt es in Wien drei Wagenplatz-Gruppen. z
(Der Artikel erschien in den zufällig generierten zeichenketten Nr. 222. Mittlerweile hat die Wagentruppe Treibstoff für zumindest ein halbes Jahr eine neue Bleibe gefunden - mehr dazu in der April Ausgabe der zufällig generierten zeichenketten)