Emma G.: In Räumen träumen?! Statt Träume räumen?
In diesem Sommer 2004 kam es in Wien zu drei Besetzungen im alten AKH. Wie unösterreichisch und retro? Hat sich da jemand im Land oder Jahrzehnt geirrt? Achtung: Dieser Erklärungsversuch ist alles andere als ein objektiver Bericht, sondern – wie alles – Propaganda involvierter Personen!
Chronologie. Kampf um Lebensraum geht los!
Die Besetzungen diesen Sommer kamen nicht aus dem Nichts. Bereits am 29. November 2003 wurde das ehemalige Männerwohnheim in der Wiener Meldemannstraße besetzt und nach ca. fünf Stunden geräumt. Die BesetzerInnen wollten es als selbstverwaltetes Wohnhaus für MigrantInnen und Obdachlose eröffnen. Danach formierte sich die Plattform Freiraum statt Wien, die von 22. bis 24. Jänner Aktionstage und im Februar am F-13 eine Demo organisierte. Im Zuge der Demo kam es zur spektakulären Scheinbesetzung des seit Jahren leerstehenden Hotel Neubau. Danach kam es zu zahlreichen Besetzungen, die in ihrer Intention nie über die üblichen, rein symbolhaften Protestaktionen hinauskamen.
Am 7. Juni machte die Neuigkeit der Besetzung der ehemaligen Facultas-Buchhandlung im Uni-Campus, die an diesem Tag ausgezogen war, die Runde. Insgesamt zog es rund 100 Leute dorthin, bis der Raum einige Stunden später bereits wieder geräumt wurde. Die ursprüngliche Gruppe, die vorwiegend aus Studierenden bestand, wollte den Raum als kritische Universität und unkommerzielles Café nutzen. Die Aktion hatte jedoch auch andere Leute mit weiteren Nutzungsideen angezogen. Allen gemeinsam war nur das dringende Bedürfnis, einen offenen Raum zu haben, um Ideen und Träume umsetzen zu können, die in unserer jetzigen Gesellschaft sonst keinen Platz finden. Einige Leute haben sich zusammengetan und jene Gemeinsamkeit begründet, die später als (Gruppe) Freiraum bezeichnet werden sollte.
Einen Monat später, bei einem raumFESTnahme-Fest in der Nacht vom 10. Juli, setzten AktivistInnen den Namen in die Tat um. Einige VertreterInnen des Staates patrouillierten beim ehemaligen Facultas-Gebäude. Doch dieses Mal wurde ein 1400 Quadratmeter großes Areal mit fünf großen Räumen, das von der Uni kaum benutzt wurde, besetzt. Seit 30 Jahren war dort lediglich Sperrmüll und ein Komposthaufen untergebracht. Am nächsten Tag wurde sofort mit der Renovierung des desolaten, aber eigentlich wunderschönen Objekts begonnen. Der Sperrmüll wurde entsorgt, die Sanitäranlagen reaktiviert, provisorische Elektroleitungen für das ganze Gelände installiert, tausende Liter Wasser rangeschafft, eine Großküche eingerichtet, Essen für rund zwei Wochen besorgt, Mahlzeiten für alle gekocht, eine Bühne gebaut, eine Soundsystem aufgestellt, ein Kulturprogramm (Musik, Theater, Lesungen etc.) für eine Woche zusammengestellt, eine offene Galerie eingerichtet, eine Homepage programmiert und vermutlich noch mehr. Bereits am Abend gab es ein Fest mit einem Jazz-Konzert und etlichen DJs (nur männlichen, was kritisiert wurde). Obwohl das Ganze nur einen Tag beworben worden war, kamen ungefähr 400 Leute zum Fest.
Das Schaffen wurde jedoch am nächsten Tag von der Polizei abrupt beendet. Die Forderung, mit den Zuständigen der Universität reden zu können, wurde abgeblockt und es wurde nach einem Grund gesucht, uns zu räumen, ohne dass die Universitätsleitung das formal durch eine Anzeige anschaffen musste. Das gelang gegen abend mit der an den Haaren herbeigezogen Begründung einer baulichen Gefährdung. Nachdem die Barrikade durchbrochen war und Versuche der "Wiener Einsatzgruppe Alarm", die BesetzerInnen aus dem Gelände zu drängen, scheiterten, endete die Besetzung mit einer Demonstration zum WUK. Eine weitere Besetzung vom 12. bis 13. August unterstrich nochmals die Ernsthaftigkeit des Aneignungsversuchs, wurde aber ebenfalls wieder rasch von der Polizei beendet. Einige Aktionen und andere Versuche, den Druck zu steigern, sowie inhaltliche Diskussionen folgten. Die Reflexion des eigenen Verhaltens und der Gruppenstruktur gingen weiter. Die Bestrebung, ein autonomes Sozial- und Kulturzentrum zu eröffnen, wurde am 4. November vorerst gestoppt, nachdem die KPÖ das Ernst-Kirchweger-Haus verkauft und damit baldigen Räumungsversuchen ausgeliefert hatte. Seit diesem Zeitpunkt unterstützen wir hauptsächlich das EKH.
Politik von Unten – Unser Leben ist Politik!
Entgegen der üblichen "linken" Position – "Dort sind die Bösen, die an allem Schuld sind. Wir, die wissen, was richtig ist, nehmen es mit ihnen auf und retten die Welt" – beharren viele von uns auf der Idee, dass wir Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse sind, sie auf vielfältige Weise mittragen und uns dem nicht einfach entziehen können. Es sind primär Verhältnisse wie Patriarchat, Nation, Kapitalismus, Parlamentarismus etc., nicht einzelne Personen, die für die Probleme auf dieser Welt verantwortlich sind, aber vor allem auch nicht für unsere persönlichen Probleme. Wir können die Welt nur verändern, wenn wir uns alle selbst verändern.
Diese Auffassung steht dem herkömmlichen Politikverständnis diametral entgegen, dem zu Folge Politik als eine vom eigentlichen Leben getrennte Sphäre verstanden wird. Dem herkömmlichen Politikverständnis entspricht die Überzeugung, dass die gesellschaftlichen Strukturen und damit die Lebensbedingungen aller nur innerhalb der politischen Sphäre bzw. von politischen Institutionen umgestaltet werden könnten. Das Private ist diesen Vorstellungen entsprechend nicht politisch und das Kulturelle und Ökonomische ist nicht direkt gestaltbar. Konsequent wird angenommen, dass entscheidende Veränderungen der Lebensbedingungen nur durch diese Institutionen und durch die dort tätigen Personen erfolgen können. Ergänzt durch die abstrakte Vorstellung einer kollektiven nationalen Identität resultiert daraus ein starrer Herrschaftsapparat. Jedes Begehren wird in verbales oder symbolisches Bitten und Fordern kanalisiert, anstatt zu versuchen, die Verhältnisse direkt zu verändern. Die Verhältnisse werden so nie in Frage gestellt. Wenn es überhaupt Ergebnisse gibt, so sind diese im besten Fall kosmetische Verbesserungen.
Wir sprechen den normativen kulturellen und juristischen Regeln und den sie legitimierenden Institutionen wie Parlament, Theater, Familie etc. daher die Legitimation von Grund auf ab. Der Illusion einer demokratischen Mitbestimmung in der Nation setzen wir die Selbstbestimmung unseres eigenen Lebens entgegen. Diese Brüche mit der Normalität können immer nur feine Risse sein, denn was es nicht gibt, das lässt sich nur sehr schwer denken. Bei jedem dieser Schritte des sozialen Ungehorsams orientieren wir uns an unseren Bedürfnissen und Träumen und hoffen diesen dabei auch näher zu kommen.
Aneignung – Schafft ein, zwei, alles Freiraum!
Im Kapitalismus werden menschliche Tätigkeiten und Beziehungen nicht mehr von den Bedürfnissen und Idealen der Menschen, sondern von abstrakten Wertgesetzen determiniert. Der Tauschhandel hat sich verselbstständigt und das Geld lässt die Menschen wie Marionetten tanzen und sich zunehmend in Widersprüchen verheddern. Um an der Gesellschaft teilzuhaben, braucht dam Geld. Um dieses zu bekommen, muss immer mehr verwertet werden, bis jedes Lächeln seinen Preis hat. Dadurch wird immer mehr Geld für Teilhabe an der Gesellschaft notwendig und immer mehr in dieser Wechselwirkung verstrickt. Ständig wird Überfluss erzeugt, doch dieser wird eher vernichtet, als ihn jenen zu geben, die nichts haben. Anstatt seine Fähigkeiten kooperativ zu nützen, um ein gutes Leben für sich zu schaffen, müssen Menschen ihre Fähigkeiten nützen, um die anderen im Konkurrenzkampf zu besiegen. Eigentlich ist Arbeit eine anstrengende, zu minimierende Notwendigkeit, um zu überleben. Doch wegen der Notwendigkeit, im Kapitalismus alles in abstrakte Werte umzusetzen, wird Arbeit zum angestrebten Ziel. Wurden Leute früher gewaltsam versklavt, schreiben die Menschen heute Bewerbungen.
Um Projekte wie einen Kost-Nix-Laden oder eine offene Küche aufzubauen, die nicht über Wert vermittelt, also nicht nur geldfrei, sondern auch tauschfrei funktionieren, muss dam sich zuerst über bestehende Eigentumsverhältnisse hinwegsetzen und sich Raum, Maschinen, Wissen etc. aneignen; sie aus dem kapitalistischen Prozess herauslösen. Erst dann können Experimente auch Erfolg haben und als Modelle in Richtung einer postkapitalistischen Gesellschaft dienen. Eine ganze Gesellschaft, die sich an Bedürfnissen orientiert und aus Lebenslust und Kreativität gespeist wird, in der es möglich ist zu kooperieren statt zu konkurrieren und zu teilen statt zu tauschen, kann es nur geben, wenn diese Aneignung des eigenen Lebens zur Norm wird und von allen vollzogen wird. Auch wenn wir wissen, wie klein die Chancen dafür sind und wie hoch die Gefahren, wieder von den kapitalistischen Zwängen eingeholt zu werden, versuchen wir diesen Weg zu gehen, denn wir kennen keinen besseren.
Abbau internalisierter Herrschaft – Freiraum als Weg!
Es gibt kein Außerhalb der Macht, keinen Ort, der frei von Herrschaft ist. Unterdrückungsmechanismen spielen sich in unseren alltäglichen Beziehungen ab. Sie bestimmen alles, was wir tun, denken und fühlen. Auch wir sind zutiefst darin verwoben und von ihnen geprägt. Wir können unsere Sexismen, Heterosexismen, Rassismen, Antisemitismen etc. nicht ablegen. Es ist die einzige Art, die wir gelernt haben, die Welt zu betrachten. Und das ist alles andere als unschuldig. Wir nehmen die Menschen und ihre Handlungen nur durch dieses Raster von Differenzen wahr – wir teilen alle ein in männlich und weiblich, weiß und schwarz, hetero und homo, gebildet und ungebildet... Und genau dadurch wird Herrschaft aufrecht erhalten und reproduziert. Von klein auf lernen wir von der Gesellschaft die Bilder und Begriffe, die wir benötigen, um uns in ihr zurechtzufinden, in ihr zu bewegen und ihr einen Sinn zu geben. Und da wir nur in diesen Begriffen denken und auf Grund ihrer handeln können, bleiben wir diesen Konzepten doch verhaftet. Auch wenn wir auf theoretischer Ebene schon zu begreifen begonnen haben, wie Herrschaft so unseren Alltag durchzieht, hinken wir in unserem täglichen Zusammenleben nach.
Deshalb ist es eine wichtige politische Handlung, sich selbst in den Herrschaftsbeziehungen zu suchen und die eigenen Verhaltensmuster zu ändern. Auch dafür brauchen wir einen Raum, wo wir gemeinsam eine neue Sichtweise der Welt schaffen können. Eine Spielwiese, auf der wir mit neuen Formen des Zusammenlebens herum experimentieren können. Eine Fläche für den Tanz der Identitäten. Wo wir die Realität zusammenbrechen lassen und lustvoll neu aufbauen können. Doch von den kurzen Momenten des Aufglimmens einer anderen Welt dürfen wir uns nicht blenden lassen. Wir können der grausigen Realität nicht entkommen. Wir müssen uns in Erinnerung halten, dass der Kampf gegen die Herrschaft in uns und außerhalb von uns ein ständiger Prozess ist, der niemals zu einem Abschluss kommen kann. Freiraum wird niemals ein Ist-Zustand sein. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir den Versuch aufgeben sollen. Von diesem Feuer, das wir da entfachen, können vielleicht auch Funken auf die Gesellschaft überschlagen. Unsere Choreographie mag vielleicht auch andere zum Tanzen bringen.
Emma G. redet gerne mit bürgerlichen Medien und steht auch sonst meistens in der Öffentlichkeit. So wurde Emma G. mit der Zeit zur kollektiven Identität. Sie studiert ab und zu Verschiedenes. Immer wieder auch an den dafür vorgesehenen Plätzen, wie Schulen oder Universitäten. Sie ist chronisch arbeitslos, weil arbeitsscheu; arbeitet aber trotzdem hier und da und manchmal auch immer, aber hoffentlich bald nie mehr, außer an sich.
http://kulturrisse.at/ausgaben/042004/kulturpolitiken/in-raeumen-traeumen-statt-traeume-raeumen