Markus Griesser Katharina Ludwig: Standort Squat?



Ein Interview übers Häuser besetzen

Wer leer stehende Räume nutzt, die sich im Eigentum anderer befinden, bekommt es in der Regel mit dem Staat zu tun. Mitunter jedoch kann man solches auch mithilfe des Staates tun: „Zwischennutzungen“ und „Breeding Places“ heißen die Stadtentwicklungs-Instrumente in Berlin bzw. Amsterdam, mit denen sich auch Basis-AktivistInnen neuerdings verstärkt um legal abgesicherte Räume bemühen. MALMOE traf am Rande der Tagung „Right to the City“ zwei von ihnen, nämlich Frauke Hehl und Jaap Draaisma, um mit ihnen über Erfahrungen im Häuserkampf und Einbindung in Häuserboom zu sprechen.

MALMOE: Wie setzt ihr euch mit euren Initiativen ins Verhältnis zur Stadtpolitik und deren Instrumenten?

Frauke: Ich bin über den Trägerverein WorkStation in mehrere Projekte praktischer Stadtentwicklung und -aneignung wie beim Freiraum-Gelände RAW-tempel involviert. Unser Zugang zum Thema „Zwischennutzung“ resultiert dabei zuerst einmal schlicht aus dem Umstand, dass diese Projekte auf Raum angewiesen sind. Ich persönlich halte Zwischennutzungen – etwa im Zusammenhang mit der Frage „Nutzung contra Eigentum“ – auch für eine gute Möglichkeit, mit Raum umzugehen. Dabei unterscheidet sich mein politischer Ansatz natürlich fundamental von dem, wie die Stadt Berlin die „Zwischennutzung“ als stadtentwicklungspolitisches Instrument einsetzt: Während es nämlich hier um Aufwertungsprozesse, Stimulierung der Wirtschaft usw. geht, ist es unser Ziel, die Autonomie und Handlungsfähigkeit von Menschen zu stärken.

Wobei die Stadt unter dem Label „Creative City“ mitunter dann auch autonome Projekte als gelungene Beispiele für „Pioniernutzungen“ im Sinne neoliberaler Stadtentwicklung verkauft. Solche Instrumentalisierungsversuche hängen wiederum zentral mit der Bedeutung von Subkultur für die Berliner Tourismuswirtschaft zusammen. Trotzdem stehen wir in Kontakt mit der Stadt, um die legale Nutzung von Gebäuden oder Grundstücken für Projekte wie bspw. Nachbarschaftsgärten zu erreichen. Dabei gerät man leicht in parteipolitische Querelen und muss tierisch aufpassen, Entscheidungsräume abzustecken und nicht als Handlanger der Politik zu enden.

Jaap: Ich bin seit den 1980er Jahren in der Amsterdamer HausbesetzerInnenbewegung (Kraaker) aktiv. Nach einer Räumungswelle in den 1990ern haben wir mit einem Manifest darauf aufmerksam gemacht, dass diese Politik lokale Subkulturen massiv bedroht. Die städtische „Breeding Places“-Politik war eine unmittelbare Reaktion auf die hier artikulierten Forderungen und mithin auch ein Resultat unserer Kämpfe. Den Hintergrund dieses Politikwechsels bildet allerdings eine neue Form der Standortpolitik, die nicht mehr bloß transnational agierende Konzerne, sondern verstärkt auch „junge Kreative“ aus Bereichen wie Mode, Popmusik und Webdesign anlocken will. Unter dem Label „Amsterdam Creative City“ versucht sie so auch Squats als „kreative Brutstätten“ für ihre PR-Konzepte zu vereinnahmen. Ein Programm, das als Antwort auf soziale und politische Initiativen entstanden war, wurde so zum Instrument, um den „Standort Amsterdam“ aufzuwerten. Und damit kamen auch die engen Kontakte zu Politik und Verwaltung auf Stadtebene. Mit dem Verein de vrije Ruimte („Freiräume“) bemühen wir uns darum, auf eine Umsetzung dieser Politik nach unseren Vorstellungen und für unsere Zwecke hinzuwirken. Das ist insofern auch gelungen, als über die „Breeding Places“-Politik Räume für nicht-kommerzielle Initiativen geschaffen und bislang einige besetzte Häuser legalisiert werden konnten.

Einige dieser Räume sind mittlerweile ins Eigentum der Kollektive überführt, weshalb das Arbeiten und Wohnen dort auch langfristig erschwinglich bleiben wird. Darin sehe ich auch einen Vorteil gegenüber der Zwischennutzung, zumal diese häufig nur kurzfristig – und ausschließlich zum Zweck der Immobilien-Aufwertung – möglich ist.

Legalisierung und Einbindung in die offizielle Stadtplanung – wurden dadurch Szenen gespalten oder Hierarchien unter AktivistInnen geschaffen?

Jaap: Am 31. Oktober 2000 wurde zum Beispiel Kalenderpanden – ein großer, kulturpolitisch sehr wichtiger Squat – geräumt, der mit der „Breeding Places“-Politik nicht zu legalisieren war. Seit 1999 gab es Mobilisierungskampagnen für dieses besetzte Haus und bei seiner Räumung die heftigsten Krawalle in Amsterdam seit 15 Jahren. Der Bürgermeister war sehr empört, weil wir seit einem Jahr die neuen Förderungen bekamen – und was haben wir gemacht? Die großen Auseinandersetzungen angezettelt. Man probiert zu spalten, weil nicht jedes besetzte Haus legalisiert werden kann. Jedes zweite Monat gibt es eine Räumung und kleinere oder größere Krawalle. Diese Häuser sind heute stärker kriminalisiert als vor der „Breeding Places“ Policy. Das liegt aber zu einem Großteil an der rechtspopulistischen Welle in der Nationalpolitik seit 2001.

Frauke: In Berlin wird auf jeden Fall immer sehr kritisch kommentiert. Innerhalb der Initiativen gibt es immer wieder Leute, die es total doof finden, mit irgendwem zu verhandeln. Aber ich habe noch nicht erlebt, dass man sich deswegen gegenseitig ausschließt. Wir haben auch im Garten Rosa Rose Leute, die sagen, das sei viel zu wenig militant und viel zu brav. Ich persönlich wüsste nicht, wie man einen Garten besetzen sollte. Denn schlägt man dort Zelte auf, würde sie die Polizei einfach wegräumen. Besetzung einer Freifläche ist für mich persönlich eine Möglichkeit, wenn man wie zu Wendezeiten riesige Menschenketten hat, wo sich jeden Tag 5.000 Leute treffen.

Ein anderer Vorwurf lautet, dass kulturelle Formen des Aktivismus sofort zur Verhübschung und folglich zur „Aufwertung“ von Stadtteilen führen. Ästhetik ja oder nein?

Frauke: Ich habe keine Lust, im Müll zu wohnen und schon gar nicht, nur damit die Gegend nicht aufgewertet wird. Ich bin daran interessiert, Lebenswertes – wie ich es nenne – in meinem Umfeld zu haben. Mir ist aber natürlich bewusst, dass das die Gefahr der Gentrifizierung in sich trägt. Gerade Gärten haben da einen enorm großen Anteil, weil sie schnell von vielen unterstützt werden, die gar nicht politisch drauf sind oder nie ein Hausprojekt betreten würden. So einen Garten kann man sich schneller schön reden. So ein Garten ist immer was Gutes: er bedeutet Freizeit, Jugend. Deswegen suchen wir nach Kriterien, nach positiven Erfahrungen, wie etwas trotzdem lebenswert sein kann, ohne dass es zu diesem Aufwertungsfaktor beiträgt.

Jaap: Ich denke, diese wichtige Rolle von Kultur in der „Creative City“ bringt zum einen mehr internationale Gruppen, mehr Kontakte und Lebendigkeit. Es ist wichtig, dass diese Kultur originell und nicht-kommerziell bleibt, und nicht nur für TouristInnen und Ex-Pats zugänglich ist, sondern auch für normale Leute, für Gruppen, die normale Mieten zahlen, für Kinder. Wenn die Stadt das allein tut, dann wird Kultur immer teuer, immer uniformiert, immer „offizielle Kultur“. Natürlich gibt es immer Streit darüber, andere Formen zu integrieren, denn am Ende wurdest du infiltriert. Wenn wir es nicht tun, gibt es also nur diese offizielle Kultur und wenn wir es tun, dann haben wir teilweise Erfolg und sind Teil des City-Marketings.

Frauke: Ich muss bei dem, was ich tue, kucken, was daraus wird, was wirklich damit beabsichtigt wird. Ich finde es wichtiger, etwas zu tun und es dann auszuwerten und kritisch zu betrachten. Klar, man wird dann Teil dieses Stadtteilmarketings, aber besser so, als nur langweiliges Stadtmarketing. Man muss versuchen, das kritisch zu begleiten.

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Aktueller Hinweis:

Freiraum-Aktionstage in Wien
Freitag 11.7. ab 16h
im alten AKH Hof 2

offene Workshope-Zone (jedeR ist eingeladen was anzubieten).
anschließend wird sich was manifestieren.
genaueres auf: www.freiraum.at.tt

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Glossar

„ZWISCHENNUTZUNG“ meint eine zeitlich befristete und in der Regel nicht mit finanziellen Aufwendungen (Miete o.ä.) verbundene Nutzung leer stehender Gebäude oder brach liegender Grundstücke. Vor dem Hintergrund städtischer Finanzkrisen und demographischer Stagnationsbzw. Schrumpfungsprozesse wurde die Zwischennutzung in den 1990er Jahren in Berlin wie auch in anderen, vornehmlich ostdeutschen Städten zu einem zentralen Instrument der Stadtentwicklung. Verfolgt wird damit vor allem eine „Aufwertung“ so genannter „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“, bspw. über die Wiederbelebung von Gewerbeeinheiten. In Berlin ist seit einigen Jahren selbst der städtische Liegenschaftsfonds dazu angehalten, ungenutzten Raum in öffentlichem Eigentum zur „förderungswürdigen und gemeinnützigen“ Zwischennutzung zur Verfügung zu stellen, sofern diese das Ziel seines Verkaufs nicht beeinträchtigt.

„BREEDING PLACES“, also öffentlich geförderte „Brutstätten“, sollen den „(Kreativ-)Wirtschaftsstandort“ Amsterdam aufwerten, u.a. indem sie die Abwanderung „kreativen Potenzials“ in Städte wie Rotterdam oder Berlin verhindern. Unter dem Motto „Keine Kultur ohne Subkultur“ wurde das Programm zwischen 2000 und 2005 mit 30 Millionen Euro subventioniert, in der bis 2010 unter dem Label „Amsterdam Creative City“ laufenden zweiten Phase werden 10 Millionen Euro verteilt. Rund 50 Gebäude sind Teil des Programms, darunter eine handvoll legalisierter Squats. Die amtlichen Freiräume müssen nun zu 40% mit Kultur bespielt werden, 60% liegen in der Hand der AktivistInnen. Mittlerweile reisen UnternehmerInnen und ForscherInnen extra an, um das Modell „Breeding Places“ zu besichtigen, die Städtekonkurrenz informiert sich über „best practice“ und selbst dem Spiegel-Heft zu „Europas coolen Städten“ blieb die Praxis nicht verborgen.

online seit 10.07.2008 12:51:31 (Printausgabe 41)

http://www.malmoe.org/artikel/widersprechen/1662