Kulturredaktion Malmoe : Die Arena hat Kinder
Kampf um Freiräume einst und jetzt
Die VeteranInnen wurden auf allen Kanälen zur Geschichtserinnerung animiert: Kein urbanes Medium kam im Juni an einer Rückschau auf die Arena-Besetzung 1976 vorbei. Die mittlerweile vielfach in Spitzenpositionen in Kultur und Politik aufgerückte Generation der BesetzerInnen gewährte umfassenden Einblick in einen wichtigen Kulminationspunkt gesellschaftlichen Wandels (von vielen als “verspätetes 1968” tituliert) für Wien und Österreich. Die Arena selbst beging ihr 30jähriges Jubiläum mit einer Konzertreihe und einer Ausstellung, die beide zu Redaktionsschluss schon vorüber sind.
Im allgemeinen Rückschauen herrschte – sofern überhaupt die Frage nach Auswirkungen, Parallelen und Unterschieden zu heute gestellt wurde – die Einschätzung vor, die Besetzung von damals sei für die verzopfte Atmosphäre der damaligen Zeit adäquat gewesen, während sich heute Alternativkultur und ihre Protestformen überlebt hätten, vereinnahmt seien oder sich wegen Zielerreichung erübrigt hätten.
Dass gerade in jüngster Zeit in Österreich Hausbesetzungsversuche einen rasanten Aufschwung erleben, ist den journalistischen GeschichtsschreiberInnen vermutlich völlig entgangen.
Als die KPÖ das EKH verkaufte, das mittlerweile in den Besitz einer im Naheverhältnis zur Stadt Wien stehenden Baufirma übergegangen ist, erhielt das Hausbesetzungs-Thema zwar für eine Zeit hohe mediale Aufmerksamkeit. Zeitgleich gerieten relativ unbemerkt auch eine Reihe von anderen subkulturellen Initiativen und Räumen in Bedrängnis, vorwiegend aufgrund von Subventionskürzungen: In Wien betrifft das zuletzt Institutionen wie Public Netbase, Echo, Depot und Tüwi.
Das EKH, das im Juni sein 16jähriges Jubiläum feierte, steht seit Monaten in Verhandlungen mit der Stadt Wien und dem derzeitigen Eigentümer, einer Tochterfirma der stadtnahen Porr AG. Die geforderten Mietverträge werden nicht so einfach zugesagt, und derzeit laufen auch noch Räumungs- und Mietzahlungsklagen gegen BewohnerInnen. Das Tüwi fürchtet, dass die Umbaupläne des Unirektorats zu einer kalten Verdrängung des alternativen Treffpunkts ohne adäquates Ersatzquartier führen werden. Dem Depot droht derzeit wegen Subventionsentzug der Stadt Wien ebenfalls das Aus.
Während bestehende Räume vielfach bedroht sind, gibt es durchaus als Antwort darauf zu verstehende Initiativen zur Öffnung von neuen Freiräumen: In Wien versucht in den letzten Monaten die Gruppe “Freiraum” immer wieder Besetzungen, konzentriert auf ein ungenutztes Gebäude am Campus der Universität Wien, die regelmäßig mit sofortiger Räumung durch die Polizei beantwortet wurden. Kleine Initiativen wie das Kindercafe Lolligo an der Fischerstiege und das von ehemaligen EKH-Gruppen bezogene Lokal Unter der Brücke auf der Wipplingerstraße sind neu entstanden, zahlen aber Miete.
In Innsbruck wurde auch immer wieder etwas besetzt, u.a. im November 2002 die Minatti Halle, die nach kurzer Zeit wieder geräumt wurde. Doch mittelfristig zeigten die Proteste und Forderungen der freien Kulturinitiativen nach einem eigenen Raum Wirkung: Mittlerweile gibt es mit der pmk nämlich einen Veranstaltungsraum, mit dem die Forderungen zumindest in Ansätzen erfüllt wurden und der am 22. Juli mit einem Straßenfest sein bereits zweijähriges Bestehen feiern wird.
In Klagenfurt gab es immer wieder stillschweigend geduldete (oder unbemerkte?) Nutzungen brach liegender Räume. Möglicherweise inspiriert durch die Besetzungsversuche in anderen Städten – Erfahrungen, die durch Mundpropaganda, Mailinglists und auf einschlägigen Vernetzungskongressen die Runde machten – wurde die jüngste solcher Nutzungen zur “Besetzung” deklariert und öffentlich gemacht. Im April wurde ein leerstehendes Haus besetzt und zum “Bomba Clab” umgetauft. Es kam zu Polizeikontrollen und -druck, aber auch Verhandlungen mit der Stadt. Beide dauern an, die diversen Hoheitsinstanzen spielten zuletzt ein good cop/bad cop-Rollenverteilungs-Doppelspiel. Die Aktion fand eine relativ große lokale Medienresonanz, und war sogar Thema im Stadtsenat.
In Graz versuchte eine Gruppe von Punks ebenfalls eine Besetzung, die von der Polizei rasch beendet wurde. In Salzburg wurde das zum Abriss bestimmte ehemalige Gelände der ARGE Kultur im Frühjahr von Jugendlichen aus dem Umfeld der Gruppe "Freiraum Salzburg" über 10 Wochen lang besetzt, schließlich aber geräumt und abgerissen.
Sind das die Kinder die Arena, die ungebrochen an das Erbe von 76 anschließen? Die Situation vor 30 Jahren weist in der Tat eine Reihe von Parallelen, aber auch wichtige Unterschiede auf:
Mutige Besetzungsaktionen können einen Vorbildcharakter entwickeln, der wie ein Virus auf andere Orte überspringt und Initiativen mit ähnlich gelagerten Anliegen Auftrieb verleiht. Ähnlich wie das heutige geballte Auftreten von Besetzungen in diversen Städten Österreichs hatte die Arena-Besetzung Ausstrahlung auf viele Kleinstädte in Österreich, wo lokale Initiativen Jugendzentren und neue Kulturräume erkämpften, und eine Vielzahl von Stadtzeitungen gegründet wurde.
Auch bewegungsgeschichtlich gibt es Parallelen: In den 70er Jahren rückte die “Häuserfrage” ins Zentrum, nachdem die Hoffnungen auf die “Weltrevolution” und Bündnisse mit der Bevölkerung, die nach 68 eine breite Bewegung inspiriert hatten, erst mal verpufft waren, und sich die Bewegungsreste auf bescheidenere Ziele, vor allem das persönliche Fort- und Unterkommen, zu konzentrieren begannen. Die Besetzungsbewegungen sind so eine Art Rückzug ins Private unter politisierten Bedingungen: Während die einen ins bürgerliche Privatleben flüchteten, wollten die anderen die neue Gesellschaft, neue Formen des Zusammenlebens in kleinräumigen Experimenten selbst erproben. Ein Rückzugsgefecht mit offensiven Mitteln.
Heute stehen die Reste der altermondialistischen Bewegungen, die von dem nach 9/11 einsetzenden Umbruch zerschlagen wurden, vor einer ähnlichen Situation. Die Horizonte der Vorstellungskraft verengen sich, und die Freiräume werden von den Regierenden durch Subventionsentzug, Ökonomisierungsdruck sowie steigender Überwachung und Privatisierung des öffentlichen Raums aktiv enger gemacht. Unter diesen Bedingungen konzentrieren sich die Bewegungsreste auf das Erkämpfen von Rückzugsräumen und unkonventionellen Nischen für sich. –für den eigenen Fortbestand und als Raum für Zukunftsdebatten.
Die in der Arena-Besetzung gebündelten Energien und das Sichtbarwerden einer breiten Szene von Subkulturen beförderten eine Tendenzwende in der Kulturpolitik. Ab nun gab es auch Subventionen für Alternativprojekte, sofern sie bereit waren, sich in “geordneten Bahnen” (Vereinsgründung mit klarer Verantwortung, GemeindevertreterInnen im Vorstand, Kulturorientierung etc.) zu bewegen. Heute ist die Stadtpolitik im Begriff, sich von dieser Orientierung wieder zu lösen. Hausbesetzungen wurden in Wien schon immer mit sofortiger Räumung beantwortet. Aber früher bot die Stadt Wien den besetzenden Gruppen in weiterer Folge Ersatzquartiere oder Kulturzentren zur Selbstverwaltung an. Heutzutage gilt aber etwa die Tatsache, dass die Stadt Wien das EKH auffängt, oder in Klagenfurt ein Bomba Clab sich Chancen auf städtische Akzeptanz ausrechnen kann, als eher erstaunliche Ausnahme. Ansonsten herrscht in der Stadtpolitik der Trend vor, allen Projekten die Unterstützung zunehmend zu entziehen, die sich nicht in repräsentationspolitische Stadtmarketing-Konzepte einordnen lassen. Dazu kommt, dass die alternativen Kulturzentren, die vor 30 Jahren erkämpft wurden, mittlerweile vielfach den Großteil ihrer Offenheit und alternativen Charakter verloren haben, und für neue Protestgenerationen keine Anschlussmöglichkeiten aufweisen.
Im Unterschied zu heutigen Besetzungsaktionen erfuhr die Arena-Besetzung eine breite Öffentlichkeit, und zum Teil sogar publizistische Unterstützung, bedingt durch ihre Ausstrahlung auf junge, sympathisierende JournalistInnen. Besetzungen werden heute anders rezipiert. Im Alltagsverstand sind sie jenseits der Vorstellungskraft: Gut passt da die Story von heutigen Arena-BetreiberInnen hinein, die berichten, dass von jungen BesucherInnen der 30 Jahre-Ausstellung Unverständnis und Erstaunen über die Tatsache geäußert wurde, dass Leute einfach ein Haus besetzen, das ihnen nicht gehört. Im Journalismus werden heutzutage Besetzungen wenn überhaupt nur aufgrund ihres Sensationswerts, und zwar kriminalistisch verarbeitet. Eine gewisse Ausnahme bildet das traditionsreiche EKH, dessen Schicksal in den letzten Monaten in den Medien weitgehend mit einer gewissen Grundsympathie rezipiert wurde.
Der vielleicht wichtigste Unterschied: War rund um die Arena-Besetzung eine breitere Bewegung, bestehend aus diversen subkulturellen Strömungen, im Aufbruch, die zuvor schon das Amerlinghaus erkämpft hatte, und danach in öffentlichen Protesten (“Jugendkrawalle”) ihren Unmut kundtat, geht heute das Bedürfnis nach Freiräumen eher unter, und hat nicht den Status einer Forderung, der große Teile einer ganzen Generation eint. Damals stand bei Stadtverantwortlichen die Angst im Raum, dass die Jugend sich von der Stadt abwendet, richtig Radau schlägt oder aufs Land abwandert (das stand in den 70ern tatsächlich stark im Raum – Rückzug auf Landkommunen etc.). Heute sind die BesetzerInnen eine von vielen Gruppen, die sich artikulieren, und die bei Stadtverantwortlichen offenbar zu wenig Angst erweckt, sie bilde einen wesentlichen Störfaktor oder eine Quelle wirtschaftlich verwertbarer Innovationen, die “eingekauft” werden muss.
Tipp: „Macht, Mach Platz!“ Ausstellung über Aufbegehren im Wien der 70er Jahre im Projektraum des WUK, noch bis 18.8.
online seit 19.07.2006 11:06:51 (Printausgabe 33)
http://www.malmoe.org/artikel/erlebnispark/1228